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Begehungen 2025 im Heizkraftwerk Chemnitz-Nord: Kunst trifft Industrie

Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres Chemnitz 2025 findet die 22. Ausgabe des Kunstfestivals „Begehungen“ vom 18. Juli bis 17. August 2025 im ehemaligen Heizkraftwerk Chemnitz-Nord statt. Das Gelände des stillgelegten Kraftwerks wird damit erstmals für ein kulturelles Großprojekt öffentlich zugänglich gemacht.

Ein ungewöhnlicher Ort mit Geschichte

Das Heizkraftwerk Chemnitz-Nord wurde über Jahrzehnte zur Energieversorgung der Stadt genutzt. Der markante, 301 Meter hohe Schornstein – umgangssprachlich „Lulatsch“ genannt – wurde 2013 vom französischen Künstler Daniel Buren farbig gestaltet und ist weithin sichtbar. Mit der endgültigen Stilllegung des Kohleblocks im Januar 2024 endete die Nutzung des Standorts für die Energieerzeugung.

Im Zuge des Strukturwandels entstand die Idee, das Gelände als Kulturort neu zu denken. Das Kunstfestival „Begehungen“ nutzt 2025 erstmals die Hallen, den ehemaligen Kühlturm und das weitläufige Außengelände des Kraftwerks für eine groß angelegte Ausstellung.

Das Festival: Inhalt und Programm

Das diesjährige Festival steht unter dem Titel „Everything is Interaction“. Im Zentrum stehen Werke, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen Mensch, Natur und Technik befassen. Insgesamt präsentieren 32 internationale Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten. Etwa ein Drittel der gezeigten Werke entstand im Rahmen eines Open Calls für junge Kunstschaffende unter 30 Jahren.

Zu sehen sind großformatige Installationen, Klangkunst, Videoprojektionen und ortsspezifische Arbeiten. Die Ausstellung verteilt sich auf rund 16.000 Quadratmeter Hallenfläche sowie den Innenraum des Kühlturms. Ergänzt wird das Programm durch Konzerte, Lesungen, Theateraufführungen und Diskussionsveranstaltungen. Der Eintritt ist kostenfrei. Freie Spenden werden für Folgeprojekte verwendet.

Kunst im Kontext von Energie und Wandel

Das Besondere an den Begehungen 2025 ist der Kontrast zwischen Ort und Inhalt. Die Nutzung eines ehemaligen Kohlekraftwerks als Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst stellt einen bewussten Bruch mit der Vergangenheit dar. Der industrielle Charakter des Geländes unterstreicht die künstlerischen Auseinandersetzungen mit Themen wie Ressourcenverbrauch, Klimawandel und gesellschaftlicher Transformation.

Die Wahl des Standorts ist damit auch ein Zeichen: Die Stadt Chemnitz und ihre Partner zeigen, wie Orte des fossilen Zeitalters neue Bedeutung gewinnen können – als Räume für Begegnung, Reflexion und Kultur.

Hohe Besucherzahlen und öffentliche Resonanz

Bereits in der ersten Woche zählte das Festival rund 8.500 Besucherinnen und Besucher. Die Resonanz in der Stadt und darüber hinaus ist groß. Die besondere Atmosphäre des Kraftwerks, die Vielfalt der künstlerischen Beiträge und der offene Zugang machen die Begehungen 2025 zu einem der zentralen kulturellen Höhepunkte des Jahres in Chemnitz.

Kunst trifft Kraftwerk: Stimmen der Künstler:innen und ihre Werke

Mit dem Einzug der Begehungen 2025 in das stillgelegte Heizkraftwerk Nord wird die Industriearchitektur zum Resonanzkörper künstlerischer Auseinandersetzung. Über 30 internationale und junge künstlerische Positionen verwandeln das ehemalige Energiezentrum in einen Ort der Reflexion über Ökologie, Technologie und Gesellschaft. Einige der teilnehmenden Künstler:innen geben Einblick in ihre Arbeiten – und warum gerade dieser Ort so besonders ist.

Lara Almarcegui – Die verborgenen Schichten der Stadt

Die spanisch-niederländische Künstlerin Lara Almarcegui gilt als Chronistin urbaner Rohstoffe. Ihre künstlerische Praxis dreht sich um das, was unter unseren Füßen liegt: Erde, Abraum, Baugruben. Für Chemnitz hat sie eine ortsspezifische Installation entwickelt, die sich mit der geologischen Vergangenheit des Heizkraftwerksgeländes beschäftigt – ein Blick unter die Oberfläche eines Ortes, der jahrzehntelang Hitze aus der Tiefe erzeugte.

„Mich interessiert, welche Spuren sozialer und industrieller Prozesse im Boden gespeichert sind – gerade hier, wo Energie buchstäblich aus dem Boden kam.“

Ihre Arbeit lädt die Besucher:innen ein, über Herkunft und Verwandlung von Materialien nachzudenken – mitten in einem Raum, der selbst vollständig aus Ressourcen gebaut wurde.

Rikuo Ueda – Windzeichnungen zwischen Stahl und Beton

Einen fast poetischen Kontrapunkt zur Schwere der Industriegeschichte setzt der japanische Künstler Rikuo Ueda. Seine sogenannte „Windzeichnung“, die er im Außengelände des Kraftwerks realisiert, entsteht allein durch natürliche Luftbewegung. Ein feines Papiersystem wird von Wind gelenkt – der Zufall schreibt hier das Kunstwerk.

„Der Mensch kontrolliert so vieles – aber der Wind bleibt frei. In einem Kraftwerk, das für Kontrolle steht, ist das ein schönes Paradox.“

Uedas Arbeit symbolisiert auf stille Weise den Übergang von mechanischer zu ökologischer Energie. Statt Rauch und Dampf bewegt nun der Wind die letzten verbleibenden Maschinen.

Olaf Nicolai – Hören, was bleibt

Der deutsche Künstler Olaf Nicolai nutzt einen ehemaligen Wassertank auf dem Gelände für eine Klanginstallation. Besucher:innen erleben hier eine sich ständig verändernde Soundkomposition, gespeist aus Umgebungsklängen, Bewegungen und Resonanzen des Raums.

Die Arbeit macht die akustische Geschichte des Kraftwerks auf neue Weise erfahrbar – als Echo eines Betriebs, der verstummt ist, aber nachklingt.

„Mich interessieren Räume, die Erinnerung nicht durch Bilder, sondern durch Klänge bewahren. In einem stillgelegten Kraftwerk ist das besonders intensiv.“

Nicolais Werk ist zugleich kontemplativ und forschend – ein Raum zum Hinhören statt Zuschauen.

Hito Steyerl – Zwischen Daten, Pflanzen und Kontrolle

Auch Medienkünstlerin Hito Steyerl zeigt eine Installation, die sich mit digitaler Steuerung, Künstlicher Intelligenz und biologischen Systemen auseinandersetzt. Sensoren erfassen Bewegungen und Daten von Besucher:innen und übersetzen diese in Lichtimpulse auf einer LED-Fläche, die in ein Pflanzensystem integriert ist.

Was entsteht, ist eine künstlich-„lebendige“ Umgebung, die Fragen nach Überwachung, Technologie und menschlicher Einflussnahme aufwirft – mitten im ehemaligen Kontrollzentrum des Heizkraftwerks.

„Ich möchte zeigen, wie eng digitale Systeme mit biologischen Abläufen verflochten sind – oft unbemerkt, aber sehr wirksam.“

Ihre Arbeit ist sowohl technisch raffiniert als auch gesellschaftskritisch – und lässt den ehemaligen Maschinenraum zu einem hybriden Biotop aus Natur und Technik werden.

Kuratorische Handschrift: Claudia Tittel verbindet Kunst und Klima

Die künstlerische Leitung der Ausstellung liegt bei der Kuratorin Claudia Tittel, die bereits mehrfach durch klug konzipierte Ausstellungen mit ökologischem und gesellschaftlichem Anspruch hervorgetreten ist. Für die Begehungen 2025 wollte sie bewusst Werke versammeln, die das Spannungsfeld zwischen Technikfolgen, Klimakrise und Zukunftsfragen beleuchten.

„Das Kraftwerk war jahrzehntelang Symbol für fossile Energie – jetzt wird es zum Denkraum für neue Perspektiven.“

Ihr gelingt es, globale Kunstnamen mit jungen Stimmen zu verbinden. Etwa ein Drittel der teilnehmenden Künstler:innen ist unter 30 Jahre alt. Damit wird das Kraftwerksgelände nicht nur zum Denkmal der Vergangenheit, sondern zum offenen Raum der Gegenwart und Zukunft.

Fazit: Kunst als Katalysator für Wandel

Die Begehungen 2025 nutzen das Heizkraftwerk Nord nicht nur als Kulisse, sondern als aktiven Teil der Kunst. Der industrielle Ort bleibt in allen Werken spürbar – als Hintergrund, Thema oder Materialquelle. Die beteiligten Künstler:innen lassen alte Maschinenräume neu denken, hören und fühlen. So wird das Festival zum lebendigen Beispiel dafür, wie Kunst urbane Transformation nicht nur begleiten, sondern mitgestalten kann.

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