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Talsperre Einsiedel – Sachsens erstes Wasserbauwunder und ein Denkmal der Ingenieurskunst

Nur wenige Kilometer südlich von Chemnitz, eingebettet in die bewaldeten Hügel des Erzgebirges, liegt ein technisches Meisterwerk, das vielen gar nicht bewusst ist: Die Talsperre Einsiedel – Sachsens erste Talsperre und die zweitälteste ihrer Art in ganz Deutschland. Sie steht nicht nur für visionären Ingenieursgeist des 19. Jahrhunderts, sondern spielt bis heute eine zentrale Rolle in der Trinkwasserversorgung der Region. Warum sie gebaut wurde, wie sie funktioniert und was sie heute noch so bedeutend macht – das erfahren Sie in diesem Beitrag.

Warum eine Talsperre in Einsiedel?

Im Jahr 1883 überschritt Chemnitz die Grenze von 100.000 Einwohner:innen – ein gewaltiger Entwicklungsschub, der mit enormem Trinkwasserbedarf einherging. Die damalige Wasserversorgung über Quellen der Zwönitz konnte weder mengenmäßig noch qualitativ Schritt halten. Verschmutztes Oberflächenwasser und unzureichende Reserven machten eine neue, nachhaltige Lösung notwendig.

Nach langem Ringen entschied der Chemnitzer Stadtrat 1890 den Bau einer Talsperre im Ortsteil Einsiedel – sehr zum Unmut der dortigen Bevölkerung, die insbesondere nach dem verheerenden Dammbruch in South Fork (USA, 1889) große Bedenken hatte. Trotzdem setzte sich die Stadt durch – mit Erfolg.

Baugeschichte & Technik

Zwischen 1891 und 1894 entstand in nur drei Jahren ein imposantes Bauwerk – unter herausfordernden Bedingungen. Über 140 Arbeiter waren täglich im Einsatz, rund 300.000 m³ Bruchstein wurden aus der Umgebung gewonnen und verbaut. Entstanden ist eine gekrümmte Gewichtsstaumauer nach dem sogenannten Intze-Prinzip – allerdings ohne einige der später typischen Konstruktionsmerkmale wie Intze-Keil oder Drainagesysteme.

Technische Eckdaten:

  • Mauerhöhe: 29 m ab Gründungssohle

  • Länge an der Krone: 180 m

  • Stauvolumen: ca. 318.000 m³

  • Baukosten: ca. 1,3 Millionen Goldmark

  • Einweihung: 14. Juni 1894

Das Bauwerk erregte international Aufsehen – unter anderem auf den Weltausstellungen in Paris (1900) und St. Louis (1904), wo es als zukunftsweisend für den modernen Wasserbau vorgestellt wurde.

Trinkwassertalsperre vs. Talsperre zur Energiegewinnung – was ist der Unterschied?

Die Talsperre Einsiedel ist eine sogenannte Trinkwassertalsperre – und das ist ein wesentlicher Unterschied zu vielen anderen Staudämmen, etwa im Alpenraum oder im Ausland, die primär der Stromerzeugung dienen.

Trinkwassertalsperre Einsiedel:

Hauptzweck: Sicherstellung der Trinkwasserversorgung

Wasserqualität: Sehr hohe Anforderungen (keine Verschmutzung)

Nutzung durch Öffentlichkeit: Eingeschränkt (Baden/Angeln verboten)

Betriebsschema: Konstante Wasserbereitstellung

Talsperre zur Wasserkraftnutzung:

Hauptzweck: Erzeugung von Strom (meist über Turbinen)

Wasserqualität: Weniger sensibel für Schwebstoffe

Nutzung durch Öffentlichkeit: Häufig touristisch oder sportlich genutzt

Betriebsschema: Je nach Strombedarf auch schwallartig

Weitsicht der Chemnitzer Stadtväter

Doch bei der Talsperre Einsiedel blieb es nicht. Die Entscheidungsträger der Stadt zeigten enorme Weitsicht und planten bereits kurz nach Fertigstellung des Bauwerks weiter. Der anhaltende Bevölkerungsanstieg – von rund 100.000 im Jahr 1883 auf über 300.000 Einwohner bis 1913 – erforderte neue Kapazitäten.

So entstanden die Talsperre Neunzehnhain I (1905) und Neunzehnhain II (1914), die ebenfalls auf die Versorgung von Chemnitz ausgelegt wurden. Diese Erweiterung des Versorgungssystems war nicht nur vorausschauend, sondern auch notwendig, um die hohe Wasserqualität und Versorgungssicherheit langfristig zu gewährleisten.

Mit dem Bau der Saidenbachtalsperre (1933) wurde das Versorgungssystem schließlich zu einem regionalen Verbund ausgebaut, der bis heute die Grundlage für die Versorgung der gesamten Stadt bildet. Die Stadt Chemnitz ist somit ein historisches Beispiel für nachhaltige Wasserpolitik und vernetzte Infrastrukturplanung.

Bedeutung damals & heute

Heute ist die Talsperre Einsiedel Teil des Talsperrensystems Mittleres Erzgebirge und übernimmt eine wichtige Ausgleichs- und Pufferspeicherfunktion. Sie speist das nahegelegene Wasserwerk Einsiedel, das die gesamte Stadt Chemnitz mit hochwertigem Trinkwasser versorgt. Ihre Rolle als Versorger ist damit bis heute ungebrochen.

Sanierung & Erhalt

Trotz ihres Alters ist die Talsperre top in Schuss. Zwischen 1985 und 1994 wurde sie umfassend saniert: Die Mauer wurde verstärkt, die Krone neu abgedichtet, und ein moderner Hochwasserschutz installiert. 2017/18 folgte eine aufwendige Sedimenträumung – rund 18.000 Tonnen Schlamm wurden aus dem Stauraum entfernt. Die Maßnahme kostete 2,9 Millionen Euro, wovon ein Großteil aus EU- und Landesmitteln gefördert wurde.

Ein Ort für Technikbegeisterte und Ruhesuchende

Auch wenn das Baden oder Angeln aufgrund der Trinkwasserschutzzone verboten ist, lohnt sich ein Besuch: Die ruhige Atmosphäre, das historische Bauwerk und die umgebende Natur machen die Talsperre Einsiedel zu einem beliebten Ziel für Wander:innen und Technikfans. Reste alter Beobachtungstürme erinnern daran, dass sogar König Albert und Friedrich August III. von Sachsen sich einst für dieses Bauwerk interessierten.

Fazit

Die Talsperre Einsiedel ist weit mehr als nur ein Stück Infrastruktur: Sie ist ein Denkmal der Wasserbaukunst, Symbol für vorausschauende Stadtplanung und noch immer ein aktiver Bestandteil der Versorgungssicherheit in Sachsen. Die Unterscheidung zur energieorientierten Talsperre zeigt deutlich: Hier steht die Lebensqualität der Bevölkerung im Mittelpunkt.

Wer sich für Technikgeschichte, nachhaltige Wassernutzung oder einfach nur stille Natur interessiert, sollte diesem Ort unbedingt einen Besuch abstatten – am besten mit einem Blick auf die große Weitsicht, die schon vor über 130 Jahren den Grundstein für eine moderne Trinkwasserversorgung legte.

Tipp: Der Themenweg rund um die Talsperre bietet Infotafeln zur Geschichte, Technik und Natur – perfekt für einen Sonntagsausflug mit Aha-Effekt.

Logo Detail Büro für Städtebau GmbH ChemnitzBüro für Städtebau GmbH Chemnitz, Foto | Reinhard Enderlein